Die Auskultation von Herztönen und Geräuschen gehört ganz sicher zu den Top 10 Dingen, die ich in der NFS-Ausbildung nicht gelernt habe. Aortenklappenstenose oder Mitralinsuffizienz sind nicht selten verantwortlich für unspezifische Symptome wie Belastungsdyspnoe oder Synkopen.

Zwei Dinge vorweg:

  • Eine transthorakale (TTE) oder transösophageale Echokardiographie (TEE) ist wesentlich sensitiver und spezifischer.
  • Die therapeutische Konsequenz in der Präklinik wird sich, gelinde gesagt, stark in Grenzen halten.

Um Herztöne und Geräusche zu verstehen machen wir vorher einen Ausflug in die Anatomie und Physiologie:
Herzklappen kann man in Segel- und Taschenklappen unterteilen. Segelkappen gibt es jeweils zwischen Atrium und Ventrikel. Sie besitzen zwischen zwei (Bi-) und drei (Tri-) Segeln (Cuspis), die jeweils noch mit Sehnen und Papillarmuskeln an der Ventrikelwand befestigt sind. Die Papillarmuskeln verhindern ein Prolaps der Segel in den Vorhof, während der Systole. Taschenklappen gibt es zwischen Ventrikel und Truncus pulmonalis bzw. Aorta. Sie bestehen aus jeweils drei muldenförmigen Taschen. Im Gegensatz zu den Segelklappen gibt es hier weder Papillarmuskeln noch Sehnen.

Segelklappen:

  • Trikuspidalklappe
  • Bikuspidalklappe (Mitralklappe)

Taschenklappen

  • Pulmonalklappe
  • Aortenklappe

Eine kurze Wiederholung zu den Herzphasen:

  • Systole
    • Anspannung
    • Austreibung
  • Diastole
    • Entspannung
    • Füllung

Während der Systole sind die Taschenklappen geöffnet um Fluss in Richtung Lunge und Körperkreislauf zu gewährleisten. Die Segelklappen sind hier physiologischer Weise geschlossen um einen Rückfluss in die Vorhöfe zu verhindern. Im Gegensatz dazu sind die Taschenklappen während der Diastole geschlossen und die Segelklappen geöffnet Blut fließt jetzt passiv (Sogwirkung) und aktiv (atrialer Kick) in die Kammern. Auch das Herz selber wird durch die in der Aorta, direkt nach den Ansätzen der Aortenklappentaschen, entspringenden arteriae coronariae perfundiert.

Durch Degeneration, Infekt, Verkalkung, Pappilarmuskelabriss (z.B. Komplikation bei Myokardinfarkt) oder angeborene Defekte kann die Herzklappenfunktion gestört sein. Entweder ist die Öffnung (Stenose) oder der korrekte Schluss verhindert (Insuffizienz).

Beide Zustände (Herzklappenvitien) können je nach Ausprägung chronische oder akute Probleme verursachen. Im Grunde können sie Auslöser einer Herzinsuffizienz mit Vorwärts- und/ oder Rückwärtsversagen sein.

Bei einer Klappeninsuffzienz (z.B. Mitralklappensinsuffizienz) kommt es zum Rückfluss von Blutvolumen entgegen der Stromrichtung. Diese bedingt:

  • Volumenbelastung (Atrium oder Ventrikel)
    • Vorlast↑
  • Rückstau (Lunge oder Peripherie)
  • Dilatative Kardiomyopathie

Bei einer Klappenstenose (z.B. Aortenklappenstenose) bedingen:

  • einen Anstieg der Nachlast

Ein führendes Vorwärtsversagen kann auch in ein zusätzliches Rückwärtsversagen übergehen ebenso anders herum!

Zu den Herztönen:

Physiologisch gibt es vier Herztöne, von denen wir (normalerweise) zwei hören können:

  1. Ton (S1):
    • Entsteht durch die Anspannung des Myokards
      • Ende der Diastole = Anfang der Systole
  2. Ton (S2):
    • Entsteht durch den Schluss („Zuknallen“) von Aorten- und Pulmonalklappe (vermutet man)
      • Ende der Systole = Anfang der Diastole

Um den 1.  vom 2. Ton zu unterscheiden kann man parallel den Puls tasten um die Systole auszumachen. Der zeitliche Verlauf hilft auch.

Wo höre ich was?

ProjektionsortKlappe
3. ICR links, parasternalErb´scher Punkt: alle, „neutraler“ Punkt
2. ICR rechts, parasternalAortenklappe
2. ICR links, parasternalPulmonalklappe
4. ICR rechts, parasternalTrikuspidalklappe
5. ICR links, 2 cm medial der MedioclavicularlinieMitralklappe

ICR – Intercostalraum; je nach Literatur sind leicht unterschiedliche Punkte für Tri- und Mitralklappe angegeben

A – Aortenklappe; P – Pulmonalklappe; T – Trikuspidalklappe; M – Mitralklappe

Und wie erkenne ich jetzt Vitien?

Pathologisch können Herzgeräusche oder sogar ein 3. bzw. 4. Herzton auftauchen. Geräusche können sich wie ein Schwirren oder Rauschen anhören. Entstehungsursache ist ein unrunder Fluss bzw. ein starkes Strömungsgeräusch (vgl. Geräusch bei Bronchokonstriktion).

Geräusch in der Systole, zwischen 1. und 2. Herzton: Systolikum

Geräusch in der Diastole, zwischen 2. und 1. Herzton: Diastolikum

Um einem Geräusch einem Klappenvitium zuzuordnen benötigen wir 3. Informationen:

  1. Systolikum oder Diastolikum?
  2. Puncto Maxima? – An welchem Projektionsort ist das Geräusch am lautesten?
  3. Klappe geöffnet oder geschlossen?

Ein Beispiel:

Hörbar ist ein Geräusch zwischen dem 1. und 2. Herzton. Am lautesten ist es im 2. ICR rechts parasternal.

  1. Systolikum
  2. Aortenklappe
  3. geöffnet

Also: Das Geräusch betrifft die Aortenklappe im Rahmen der Systole, bei der diese geöffnet ist. Das Strömungsgeräusch entsteht am ehesten durch eine zu enge Aortenklappenöffnung, die vermutlich durch eine Stenose bedingt ist.

Um eine Aortenstenose von der Mitralinsuffizienz zu unterscheiden kann das Stethoskop auf die Carotiden gehalten werden. Das Herzgeräusch wird in der Regel dorthin fortgeleitet.

Tatsächlich sind die genannten Geräusche und Differenzierungen (leider) nicht komplett. Herzgeräusche werden in ihrem zeitlichen auftreten weiter differenziert – das ist natürlich mit erheblich mehr Übung und Erfahrung verbunden.

Das zeitliche Auftreten eines Geräusches kann noch eingeteilt werden in:

  • frühsystolisch oder -diastolisch
  • spätsystolisch oder -diastolisch
  • mesosystolisch oder -diastolisch (Mitte der Herzphase)
  • holosystolisch oder -diastolisch (Während der ganzen Herzphase)

Geräusche können zu dem im Verlauf leiser (decrescendo) oder lauter (crescendo) werden. Wird es erst lauter und anschließend leiser wird das Geräusch als spindelförmig bezeichnet.

Je nach Vitium ergeben sich zusätzlich zu den oben genannten zusätzliche Charakteristika. Die Aortenstenose hat ein holosystolisches, spindelförmiges Herzgeräusch. Auch ein Ventrikelseptumdefekt (VSD) zeigt sich mit einem holosystolischen Geräusch.

Abschließend noch zur Lautstärkeklassifikation, die in Sechsteln angeben wird:

  • 1/6 – sehr leise, „nur geschulte Ohren hören es“
  • 2/6 – leise, aber hörbar
  • 3/6 – mittellaut
  • 4/6 – laut
  • 5/6 – übertönt die Atemgeräusche, lautestes Geräusch
  • 6/6 – auch ohne Stethoskop hörbar

Hierbei belassen wir es mal. Einsteigen kann man am besten, in dem man viele gesunde Herzen und auch solche mit vorbeschriebenen Vitien abhört. So lernt man die genauen Charakteristika kennen. Jeder der ein Littmann® -Stethoskop hat (ohne Werbung machen zu wollen) kann mithilfe der Seriennummer, auf dem Kopf des Stethoskopes, die Lern-App von Littmann® (Learning Institute) freischalten und damit üben bzw. lernen. Wer tief in die Materie einsteigen will kann auch ggf. gespaltene Herztöne oder Clicks hören.

Und weil ich oben über therapeutische Konsequenz gesprochen habe: bevor der oder die nächste hoch hypertensive Patient:in (aggressiv) mit Urapidil therapiert wird: bei der Ursachensuche bzw. Suche nach Endorganschaden mal aufs Herz hören und gesondert auf Systolika mit Hinweis auf Aortenstenose achten!

FOAMED Links:

Quellen:

  • Auskultation und Perkussion. Gahl K, Fischer M, Gebel M, Hrsg. 16. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2014. doi:10.1055/b-002-96272
  • Duale Reihe Anamnese und klinische Untersuchung. Füeßl H, Middeke M, Hrsg. 7., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2022. doi:10.1055/b000000572
  • Duale Reihe Anatomie. Aumüller G, Aust G, Conrad A, Engele J, Kirsch J, Maio G, Mayerhofer A, Mense S, Reißig D et al., Hrsg. 5., korrigierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020. doi:10.1055/b-007-170976

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